Die neue Macht der Plattform: Playlisten auf Spotify

Wenn einem früher jemand etwas bedeutet hat, dann hat man der Person gerne mal ein Mixtape aufgenommen. Ein geflügeltes Wort, dass z.B. ebenfalls und vielleicht noch ein wenig ursprünglicher synonym mit den Demos von Bands, die diese an Radiosender verschickten verwendet wurde.

10.01.2021

Wollte man früher jemanden mit seiner Lieblingsmusik beglücken saß man dazu meist am Kassetten-Recorder und hat dazu Musik von CD’s oder aus dem Radio auf ein Tonband überspielt, dass man dann weitergeben konnte. Ein paar Jahre später brannten wir gleich CD’s zu diesem Zweck. Ein Mixtape konnte Liebesbrief, musikalische Untermalung für’s Auto fahren oder schlicht Geschmacksprofil sein. Wir z.B. haben im Studium CD’s mit Mixen unser persönlichen Charts kreisen lassen um uns gegenseitig zu inspirieren. All diese Formen persönlich zusammengestellter musikalischer Inhalte hatten eines gemeinsam: In ihnen steckte Arbeit und Leidenschaft. Wer ein Mixtape erstellt, der macht das meistens mit dem Gefühl, etwas von sich selbst preiszugeben. Man offeriert dem Empfänger eine Facette seiner selbst. Ein Gefühlsparadigma gepackt sechzig bis neunzig Minuten.

Nun gibt es bis heute Menschen die analoge Mixtapes erstellen, außerdem hat es eigentlich schon immer bekannte Musiker gegeben, die solche vermarkten oder sonst wie einer größeren Gruppe von Hörern zur Verfügung stellen. Ja und das passiert auch schon seit langer Zeit im Internet. Digital im großen Stil und doch für jedermann, gibt es dies aber erst in der Era der Musik-Streaming Plattformen, allen voran auf Spotify. Den schwedischen Streaming-Riesen gibt es seit 2006 und so wie das Unternehmen sich seitdem stetig verändert, hat es auch unseren Bezug zum Mixtape beeinflusst. Mixtapes heissen nun Playlists und „Arbeit und Leidenschaft“ spielen hier noch immer eine Rolle, doch diese wird zunehmend an den Rand gedrückt. Playlisten auf Spotify übernehmen inzwischen einen ganz andere Funktion, sie werden zum Synonym für die Plattform.

Digitale Mixtapes

Um es gleich vorweg zunehmen: Natürlich gibt es noch Playlisten auf Spotify, welche die logische Weiterentwicklung des klassischen Mixtapes sind. Playlisten, die privat und zu verschiedenen Zwecken unter Freunden geteilt werden, die man dem oder liebsten zusammenstellt oder die Personen des öffentlichen Lebens zusammenstellen um Aussagen über sich selbst oder ihre Inspirationen zu machen. Dies sind alles Playlisten, die an real existierende Personen oder manchmal auch Marken oder Organisationen gebunden sind und die sich Menschen gezielt wegen dieser Verbindung anhören. Oder es gibt Playlisten mit z.B. klassischen Hits der 80er Jahre oder Playlisten zu Weihnachten, Silvester usw., bei denen es in den wenigsten Fällen um neue Sachen geht. Hier liegt beim Hörer die Erwartung eben solcher unverwechselbarer Klassiker und diese Playlisten liefern natürlich auch.

Bei all diesen Beispielen ist der Vergleich mit dem Mixtape noch treffend. Anders sieht es aber bei Playlisten aus, die von der Spotify Redaktion zusammengestellt werden, oder die gleich direkt mittels Algorithmus generiert werden und die speziell auf Neuheiten hinweisen sollen oder eben einfach nur eine Stimmung beim Hörer treffen sollen. In solchen Playlisten liegt der große Erfolg der Spotify, aus User- und Künstlersicht liegen hier aber auch die Tücken der größten aller Streaming-Plattformen für Musik. Das das klassisch konnotierte Mixtape weiter auf Spotify lebt, erfüllt aber eine ebenfalls wichtige Funktion. Nämlich die, dass wir alles was Spotify uns in Form von Playlisten und Empfehlungen vorsetzt, unterbewusst mit einem nostalgischen Film von zusammengestellter Musik sympathischer Menschen, die wir schätzen, lieben oder sei es auch nur kennen in Verbindung bringen. Solche Personen schreiben wir kein Kalkül dabei zu und irgendwie etwas vorzuenthalten oder uns zu beeinflussen, Playlisten auf Spotify sollten wir das aber zuschreiben.

Playlisten und Definitionsmacht

Spotify hat es also geschafft, ihre Playlisten sozusagen mit Persönlichkeit zu umhüllen und das obwohl die meisten Leute, die eine Playlist auf Spotify suchen, gar nicht mehr Hören wollen, was diese oder jene Person vielleicht zusammengestellt hat. Sie folgen lediglich ihrer Stimmung und wollen z.B. einfach etwas Hören was ihnen gerade gute Laune, Partystimmung oder Entspannung verschafft. Daran ist natürlich nichts Schlechtes und so machen tausende von Playlisten auf Spotify jeden Tag enorm viele Leute glücklich. Wo liegt also das Problem? Nun es gibt Playlisten die sind so enorm populär auf der Plattform, dass es über den kommerziellen Erfolg eines Songs entscheiden kann ob dieser auf Spotify’s großen Playlisten vertreten ist oder nicht.

Die Playlisten sind keineswegs von anderen Usern zusammengestellt, sondern sie sind klares Kalkül der „Spotify Redaktion“ um Künstler noch ein Stück weiter in die Abhängigkeit der Plattform zu bringen. Theoretisch wäre es also nicht verwunderlich, wenn Spotify irgendwann mal Geld von Musikern oder Labels nehmen würde, nur damit sie auf bestimmten Playlisten auftauchen. Dadurch bestimmt Spotify ab einem gewissen Grad, was gespielt wird und was nicht, zumindest in ihren überaus erfolgreichen Playlisten, die teilw. das einzige sind, was viele User dort überhaupt Hören. In jedem Fall hat das Unternehmen durch die Macht über die großen Playlisten ein wohl ziemlich lukratives Geschäftsinstrument in der Hand, das vielleicht irgendwann den Künstler ganz nach oben setzt, der am meisten zahlt. Doch es geht noch weiter:

Stimmungen vs. Inhalte

Wie bereits erwähnt haben Leute die eine Playlist Hören meist das Bedürfnis eine bestimmte musikalische Stimmung zu konsumieren, entweder um die aktuelle Gemütslage zu unterstützen oder sich in eine andere mittels Musik zu befördern. Interpreten sind da eher zweitrangig bzw. erst dann interessant, wenn man ein bestimmtes Stück wiederkennt oder so davon angetan ist, dass man vielleicht herausfinden will um welchen Künstler es sich handelt. Nun ist doch wirklich nichts dabei sich mittels eine Playlist entspannt zurück zu lehnen und einfach das zu Hören was in die aktuelle Gemütslage passt, sich dabei vielleicht noch von bestimmten Tracks überraschen zu lassen und einfach sorgenfrei Musik zu hören oder? Stimmt, das Problem hat eben in erster Linie der Künstler, wenn er als einzelner vom Hörer nicht mehr wahrgenommen wird, sondern wenn sein Werk am Ende beim Spotify User z.B. nur den Gedanken „Die Chillout Playlist ist super“ hinterlässt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Tantiemen die Musiker im Allgemeinen für gestreamte Musik erhalten ohnehin ziemlich gering sind könnten die sich ja eigentlich freuen, dass sie in den großen Playlists auftauchen, einer Würdigung als Künstler entspricht diese Entwicklung aber natürlich nicht gerade.
Spotify hat also wenig Skrupel Musik in die „Marken“ ihrer eigenen Playlisten zu schmelzen (und natürlich die Wahl jeden dabei auszuschliessen den sie wollen). Doch es geht noch weiter:

Fake Artists

Es scheint so als sei es denen bei Spotify ein Gräuel, dass sie überhaupt noch etwas an Künstler bezahlen sollen. Es wäre doch viel schöner, wenn die alles freiwillig und Gratis hergeben würden für ein bisschen Fame. Machen die natürlich nicht, das wissen die bei Spotify auch. Dennoch sitzt Spotify auf einem riesengroßen Datenberg, sie wissen genau wer was hört, wie lange, wo, bei welcher Tätigkeit usw. Da muss sich doch irgend etwas mit machen lassen. Tut es auch: Spotify weiss auf ihrer Plattform als einzigster, was die Leute am liebsten hören und sie wissen auch welche musikalischen Trigger bei den Hörern betätigt werden müssen, damit ein Song gut ankommt. Hat jemand schon mal etwas von den Musikern Andreas Romdhane und Josef Svedlund gehört? Nicht? Macht auch nichts, denn man wird sie bei Spotify nicht unter diesen Namen finden, die beiden arbeiten zum Hintergrund, für Spotify. Als Produzenten Duo nennen sie sich Quiz & Larossi und sie sind zwei der Köpfe hinter der stetig wachsenden Armee von Fake-Spotify Künstlern. Die beiden haben in den letzten Jahren mehr als fünfzig Künstler-Identitäten in die Spotify Plattform gepumpt, die im echten leben nicht existieren.

Nun ist es nichts besonderes, wenn Popmusik am Reißbrett entsteht, das gab es ja eigentlich schon immer.Quiz & Larossi können dafür aber auf das gesamte Nutzerverhalten der Spotify Kunden zurückgreifen und Musik exakt nach den Hörgewohnheiten der Massen basteln. Wenn die beiden nahe genug dran sind an den größten Streaming-Hits dann kommt halt irgendwann der Punkt an dem man den „echten“ Künstlern, an die man Tantiemen zahlen müsste den Hahn zudrehen, bzw. sie aus der Playlist herausnehmen kann, ist billiger. Dies passiert heute schon und das wird bestimmt eher zunehmen als weniger werden. Spotify bedient sich also an den Ideen anderer fertigt Kopien davon an und flutet damit seiner Playlisten. Der optimale Plattformkunde hört dann am besten gar keinen Unterschied zu den Originalinterpreten. Düstere Zukunft für den Musikmarkt oder? Doch es geht noch weiter:

Der gute Algorithmus

Ein Algorithmus ist immer nur so gut wie sein Trainingsmaterial. An und für sich ist eine künstliche Intelligenz nämlich dumm. Doch sie kann dazulernen, im Rahmen ihrer Funktion sogar schneller und ausdauernder als der Mensch es je zu tun vermag. Doch was passiert, wenn Spotify irgendwann damit beginnen sollte die Song-Auswahl aus der der Algorithmus sich bedienen kann einzuschränken, oder einfach nur ihr eigenes Material höher zu priorisieren? Die Benutzer werden das vermutlich kaum bemerken, denn sie bekommen weiterhin das auf die Ohren, was sie Hören wollen.

Doch eigentlich Hören sie nur noch das was sie in die Stimmung versetzt, die sie gerade für sich unterstützen oder erreichen wollen. Spotify eben, keine speziellen Künstler oder Bands mehr. Diese sind irgendwann nur noch Ideengeber für verwässerte Kopien der Marke Spotify. Doch selbst der „best-gefütterte“ Algorithmus könnte die Zuhörer auf Dauer beschneiden, ihnen eine kulturell wichtige Funktion des zeitgenössischen Musikgenusses vorenthalten, die Auseinandersetzung mit Kritik. Wenn wir alles was wir Hören irgendwann nur noch toll finden, entgehen uns die positiven und negativen Überraschungen die Musik mitbringt, wir reiben uns nicht mehr an dem was in Kritiken, Zeitschriften oder Blogs steht, wir lassen uns nicht mehr ein auf Experimente. Musik verkommt zum ewig dudelnden Hintergrund, unaufdringlich, austauschbar und kulturell verarmt. Doch es geht noch weiter:

Neue Gatekeeper:

Spotify ist inzwischen dabei Playlisten in auf die Situation abgestimmt Unterhaltungskanäle zu verwandeln. Seit einiger Zeit gibt es die Playlist „Daily Drive“, deren Ziel es ist, den Hörern weitestgehend ein Radioerlebnis zu verschaffen, wenn sie z.B. morgens zur Arbeit fahren. Dazu werden zwischen ein paar Songs nun auch Podcast-Inhalte von zur Zeit noch ausgewählten Partnern eingespielt. Wer “ Daily Drive“ hört, der bekommt also ein Mischung aus Musik, News (und für Nichtzahler auch Werbung) geboten, ganz wie im Radio jedoch individuell auf die eigenen Vorlieben zugeschnitten. Klingt an sich doch gut, oder? Das Problem dabei ist nur: Spotify ist kein journalistisches Radio, auch wenn es vielleicht manchem so daher kommt. Wer ausschließlich Playlisten wie „Daily Drive“ hört, läuft Gefahr sich in eine von Spotify zusammengestellte Filterbubble zu verfangen, in der nur dass berichtenswert ist, was Spotify für berichtenswert erachtet.

Das ist nicht gut, wir zahlen alle eine Rundfunkgebühr, damit wir Nachrichten Hören können, die nicht dem Diktat von möglichst vielen Hörern unterliegen. Spotify-Playlisten unterliegen dem aber schon, denn das ist das einzige was dem Unternehmen mehr Wachstum bringt. Und auch aus Sicht der Podcast Anbieter ist das auf Dauer problematisch. Wer seinen Podcast-Feed bei Spotify einreicht bekommt dafür nichts außer die eventuelle Aufmerksamkeit der Plattformnutzer, die am Ende des Tages dann vermutlich der Podcast bekommt, von dem Spotify das möchte. Mal ganz davon abgesehen, dass Spotify sämtliche Podcasts technisch zu Hörbüchern verstümmelt, Kapitelmarken- Bilder und Shownotes einfach aus ihrem Angebot streicht.

Sind Playlisten jetzt Gift?

Nein, natürlich nicht. Vieles von dem was hier beschreiben wurde sind Tendenzen. Einiges davon vielleicht pessimistischer als es Anderen lieb ist. Wie sich Musikstreaming entwickelt und wie ein Unternehmen wie Spotify sich in der Zukunft positionieren wird ist unklar. Andererseits liegt es wie die meisten Entwicklungen in der Tech-Branche auch in der Logik des Marktes, wie es sich entwickelt und unter diesem Gesichtspunkt spricht einiges dafür, dass sich die Konstanten für Spotify weiter so verschieben werden wie sie es gerade tun. Playlisten sind keine zu Einhundertprozent tödliches Gift für die die Musikindustrie oder eine Entmündigung der Hörer, noch nicht.

Die schöne neue Musik-Streamingwelt in der alles immer und überall verfügbar geworden ist, hat jedoch Beulen und Schrammen bekommen. Es liegt an uns selbst, uns das Beste aus alten und neuen Formen der Musik-Rezeption zu erhalten.

 

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